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Sieben Adieux Es ist schon spät. Sie hat den Mantel bei der Rezeption aufbewahren lassen und schaut nach ihrem Terminkalender, während das Mobiltelefon läutet. Nach einer letzten Adjustierung auf der Damentoilette lässt sie ein Taxi rufen. Sie gibt mir noch schnell die Hand und eine Visitenkarte, bevor sie einsteigt. Ich verabschiede mich. Das Forschungslabor ist trotz fortgeschrittener Stunde noch besetzt. Ungewaschene Kaffeehäferl stehen zwischen PCs und Ordnern im Leuchtstoffröhrenlicht herum. Ein Cartoon auf der Tür weist auf Murphy's Gesetz hin. Sich für die Unordnung entschuldigend, reicht die Wissenschafterin, den Zellstoff in den Mülleimer werfend, jovial die Hand und öffnet die Tür. Ich verabschiede mich. Die Mutter hat aus alten Kleidern ein Faschingskostüm zusammengezaubert. Nach einer Stunde Suchen findet sie die Schminke wieder. Sie steht eine halbe Stunde früher auf, damit die Verkleidung vor der Schule noch perfektioniert wird, um den ganzen Tag zu halten. Mit einem freundlichen Lächeln gibt sie eine warme Hand, die soeben noch durch einen blonden Haarschopf wühlte. Ich verabschiede mich. Die Ehefrau gießt die Pflanzen, während ihr Mann das Gras schneidet. Sie lässt die Waschmaschine reparieren, er installiert das neue Antivirusprogramm. Mit einem festen Händedruck (ich spüre den Ring) verabschiedet sie sich. Auch ich verabschiede mich. Die vernünftige Tochter lobt die Eltern für das, was sie für sie getan haben. Sie schaut immer auf die anderen. Sie geht keine Risiken ein. Ihre Hand ist kühl, jedoch der Kontakt zu kurz, um frösteln zu lassen. Ich verabschiede mich. Die Liebhaberin blickt, die Haare zurückwerfend, wissend um sich herum. Mit glänzenden Augen spaziert sie zum Ausgang. Sie lacht. Eine parfümierte Geste gibt einen leichten Nachdruck. Ich verabschiede mich. Die Powerfrau bringt alles unter einen Hut. Sie erntet viel Bewunderung wegen der Leichtigkeit, mit der sie sich zu organisieren scheint. Nur andere Powerfrauen wissen, wie die Ringe unter den Augen kaschiert werden. Eine volle Hand, eine leichte Berührung noch am Arm und sie muss weiter. Ich verabschiede mich. Ich verabschiede mich sieben Mal. Sieben Mal auf sieben Weisen. Ich sehe, wen ich gehen lassen kann. Ich lasse sie alle gehen. Sie gehen ihre Wege. Sie schauen nicht um. Ich muss selber herausfinden, ob noch jemand da ist. Jemand liegt nach dem Schwimmen im Gras in der Sonne. |
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(2004)
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